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Eigentlich ist es ja auch meine Schuld

2 Mär

Heute sind wir auf einen Text aufmerksam geworden, der uns gleichzeitig betroffen macht und auch deutlich zeigt, wie sich ein Mobbing Opfer fühlt. Es ist für die Betroffenen sicher nicht leicht, darüber zu sprechen und wie in diesem Fall, gelingt das meist erst Jahre danach im Erwachsenenalter. Wir finden, dass dieser Bericht es wert ist, von uns in vollem Umfang wiedergegeben zu werden und hoffen, dass sich mancher dadurch ermutigt fühlt, auch über seine Gedanken und Gefühle zu sprechen.

Ich hasse die Schule.

Das war nicht immer der Fall, auch wenn ich nie zu den Menschen gehörte, die es besonders gut fanden dort hin zu gehen. Hauptsächlich hing das damit zusammen, dass ich ein von Natur aus fauler Mensch bin, eine der schlechteren Charaktereigenschaften, die ich im Laufe meines Lebens angesammelt habe. Aber ich schweife ab.

Ja, ich hasse die Schule. Es gab eine Zeit, in der es für mich nur wenig gab, das schlimmer war als dort hingehen zu müssen. Der Grund dafür ist einfach: Ich bin ein Opfer. Die Rede ist hier von Mobbing, ein wenig diskutiertes Thema. Ein böses Thema – ja nicht darüber sprechen, lieber den Mund halten. So wird es gehandhabt, so habe ich es über die Jahre hinweg erlebt. Aber fangen wir von vorne an.

Ich bin ein Opfer, und ich bin damit nicht alleine. Statistisch gesehen befindet sich in jedem deutschen Klassenzimmer mindestens ein Schüler, der regelmäßig starkem Mobbing ausgesetzt ist, Tendenz steigend. Mobbing ist schon lange kein Einzelfall mehr, es ist ein Problem. Tausende Schüler sind ihm ausgesetzt, die wenigsten von ihnen haben Hilfe. Viele werden alleine gelassen, müssen sich „eben durchbeißen“ – so wie es auch mir erging. Ich mache niemandem einen Vorwurf, im Nachhinein betrachtet waren sowohl die Lehrer als auch meine Eltern wohl gleich hilflos und wussten nicht, wie man damit umzugehen hatte. Aber der Reihe nach.

Nach vier verhältnismäßig ‚glücklichen‘ Schuljahren verließ ich die eher kleine Grundschule auf die ich bis dahin gegangen war und wurde auf jene Gesamtschule versetzt, die für ein buntes Sammelsurium verschiedenster kleiner Dörfer zuständig war. Unter anderem eben auch meines. Es war die Hölle.

In den sechs darauffolgenden Jahren etablierte ich mich relativ schnell als schwächstes Glied meines gesamten Jahrganges. Ich war nicht nur das Opfer meiner Klasse, nein auch die Parallelklassen beteiligten sich fröhlich an der Hatz. Natürlich war ich nicht der einzige, der darunter zu leiden hatte. Vermutlich traf es mich nicht einmal am schlimmsten – genaugenommen hatte ich Glück. In den sechs Jahren schaffte ich es irgendwie nie Opfer größerer Körperlicher Gewalt zu werden. Ich wurde nie verprügelt, war nie Teil einer Schlägerei. Ich weiß bis heute nicht genau wie mir das gelang.

Stattdessen spuckten sie mir auf den Kopf, von der zweiten Etage des Treppenhauses aus. Sie stahlen meine Mappe, traten mir während des Unterrichts von hinten gegen den Stuhl und beleidigten und erniedrigten mich mit Wörtern. Einmal stach mir jemand eine Reißzwecke in die Schulter, ein anderes Mal fand man es lustig mir gegen die Hand zu treten, als ich mich im Bus an einer Haltestange festhielt – unsere Schulbusse waren normale Linienbusse, die auf wesentlich weniger Personen ausgelegt waren, als es Schüler gab. Das führte dazu dass man nahezu immer stehen musste, wenn man nicht gerade zu den ersten gehörten die einstiegen. Ich verzog die gesamte Busfahrt keine Miene und ignorierte den Schmerz, ohne meine Hand zurückzuziehen. Immer und immer wieder wurde der Fuß fest dagegen gepresst, bis man schließlich von mir abließ – es war wohl langweilig geworden. Erst als ich Zuhause ankam weinte ich schließlich. Trotzdem kam es mir wie ein Sieg vor.

Es war damals leicht mich zum Weinen zu bringen. Ich war schwach und zeigte das auch recht schnell, das machte mich zur beliebten Zielscheibe. Mehr als einmal verließ ich weinend das Klassenzimmer, unter den Augen der Lehrer. Es geschah nichts.

Die einzige Lösung die mir in all diesen Jahren angeboten wurde, war ein Wechsel der Schule. Ich lehnte ab, niemand verstand weshalb. Es gab damals nur eine Sache, die mir mehr Angst einjagte als die tägliche Tortur – das unbekannte. Eine neue Schule hätte bedeutet, dass ich vollkommen von vorne hätte anfangen müssen. Ich wäre der neue gewesen, alleine in einer Schule voller Unbekannter. Ich hätte die wenigen Freunde die ich hatte zurückgelassen – und wer weiß, vielleicht wäre es schlimmer geworden. Zumindest wusste ich bei meiner Schule woran ich war, wem ich besser aus dem Weg ging und wer eigentlich gar nicht so schlimm war. Ich wusste was mich erwartete und irgendwie machte das es zumindest etwas erträglicher.

Immer und immer wieder hörte ich damals die Sätze, die mich dazu geführt haben heute den Titel zu wählen, den dieser Text hat.
„ Du musst dir einfach eine dickere Haut wachsen lassen.“
„Versuch aus der Opferrolle auszubrechen, es liegt an deiner Haltung. Wenn du nicht wie ein Opfer wirkst, dann bist du auch keines.“
„ Du brauchst ein stärkeres Selbstbewusstsein, dann hören sie schon auf.“

Sätze wie diese sind das perfideste an der gesamten Thematik. Nicht nur wird man gemobbt, nein, man hört auch noch überall, dass man ja quasi selbst daran Schuld sei. Es liegt daran wie man auftritt. Wie man aussieht. Am eigenen Selbstbewusstsein. Daran, dass man zu empfindlich ist. Opfer bekommen das immer wieder zu hören,  Tag für Tag. Niemand denkt daran zu den Tätern zu gehen und denen zu sagen „Du, du bist eigentlich ein verdammt erbärmliches Stück Scheiße.“.

Es gibt für Mobbingopfer Therapien. In denen sie lernen ihr Verhalten zu ändern, damit sie nicht mehr als lebende Zielscheibe gesehen werden.

Für Täter gibt es keine Therapie.

Ist noch niemandem aufgefallen, was das suggeriert? Das Opfer muss sich ändern, das Opfer trägt die Schuld. Der Täter, der macht alles richtig. Der braucht keine Therapie, der springt ja nur auf die Signale an. Ich schreibe diesen Text hier hauptsächlich aus einem Grund. Um folgendes zu sagen: Ich bin nicht schuld.

Es ist vollkommen egal wie ein Opfer sich verhält, sobald der Täter darauf anspringt und mit dem Mobbing beginnt war es seine Entscheidung das zu tun. Er trägt die alleinige Schuld daran, er trägt die Verantwortung.

Und es ist keine kleine Verantwortung, die die Täter zu tragen haben. Mobbing ist kein Kavaliersdelikt, nichts das man mit einem Schulterzucken abtun kann. Mobbing zerstört Leben. Es hat meines beinahe zerstört – über Jahre hinweg litt ich an Angstattacken in der Schule, auch nach der Gesamtschule. Das kostete mich drei Ausbildungen, bis ich mich schließlich dazu durchringen konnte Hilfe zu suchen und eine Therapie zu machen. Selbst heute fällt es mir an manchen Tagen schwer fremde Menschen anzusprechen – vor einigen Jahren war mir das kaum möglich. Noch immer zucke ich zusammen, wenn im Bus jemand in meiner Nähe lacht. Man könnte ja über mich lachen.

Für den Täter ist es ein kurzer Spaß. Das Opfer leidet zum Teil sein Leben lang an den Folgen.

Manche bringen sich auch einfach um.

Den Beitrag haben wir in einem Forum gefunden, was sich eigentlich gar nicht mit dieser Thematik beschäftigt. Das zeigt, dass sich Mobbing in der Schule in allen Bereichen der Gesellschaft durchzieht. Wir finden es mutig und toll und wünschen diesem Menschen alles Gute und Kraft, diese Erfahrungen zu verarbeiten.